Foto: wix.com
"Wenn du das Kind ständig mit dir rumschleppst gewöhnt es sich noch daran und du musst es ewig tragen!"
Solche und weitere Sprüche musste ich mir häufig anhören und ich gebe zu, dass es mich zeitweise verunsichert hat. Obwohl ich von Beginn an felsenfest vom Tragen überzeugt war. Die Vorteile für Kind und tragende Person die sich aus dem Tragen ergeben sind immens, wohingegen es kaum Nachteile gibt. Und es hat sich einfach richtig angefühlt, mein Kind war zufrieden und ich hatte beide Hände frei. Im Gegensatz zum Kinderwagen. Dort wurde nur gebrüllt, ich hatte beide Hände am Schiebegriff und Feldwege waren mühselig. Obwohl uns der Kinderwagen als absolut geländegängig angepriesen wurde.
Weil die Vorteile grundsätzlich überwogen und es für mich niemals in Frage kam, mein Kind im Kinderwagen schreien zu lassen habe ich also weiterhin getragen. Und zwar wirklich gerne!
Ich frage mich ja mittlerweile, warum niemand am Kinderwagen so sehr zweifelt? Was ist denn, wenn sich das Kind an den Kinderwagen gewöhnt? Am Ende muss ich es noch in die Schule damit schieben... Bullshit!
Was also ist das Problem am Tragen? Was ist das Problem dabei, wenn das Kind sich daran gewöhnt, getragen zu werden?
Vielleicht liegt diese Einstellung noch im Generationstrauma vergraben. Im Kinderwagen ohne Körperkontakt, am besten noch ohne Sichtkontakt durch die Wanne ringsum und ein Baby, dass man nur herausnimmt um es nach der Uhr zu füttern oder "trocken zu legen". Vielleicht kommen solche Sprüche daher. Angst.
Angst vor zu viel Nähe, Angst davor sich einen sogenannten "Tyrannen" groß zu ziehen. Angst vor einem Kind, das Dinge in Frage stellt und kritisiert.
Foto: wix.com
Wer weiß. Jedenfalls sind die Zeiten heute glücklicherweise anders. Bedürfnisorientierung scheint den allermeisten zumindest ein Begriff zu sein und Kinder werden liebevoll in ihrem Aufwachsen begleitet.
Trotzdem schwingt immer noch die Angst vor dem Verwöhnen mit. Das Kind möglichst bloß nicht an irgendetwas gewöhnen, dass mir später unangenehm werden könnte.
Ich frage mich dabei, warum solche Befürchtungen z.B. beim Tragen auftauchen, jedoch nicht bei geläufigen Babyartikeln wie Schnuller oder Windeln.
Ich zumindest habe noch nie jemanden sagen gehört "zieh dem Kind bloß keine Windeln an, am Schluss wickelst du es noch bis es in die Schule geht!". Oder "gib dem Baby ja keinen Schnuller, am Ende bekommst du den nie wieder los und das Kind hat mit 3 Jahren immer noch einen!"
In den beiden Beispielen wird einfach darauf vertraut, dass das Kind andere Strategien entwickeln wird. Es wird irgendwann lernen aufs Klo zu gehen, und es wird lernen ohne Schnuller einzuschlafen. Und zwar genau dann, wenn es eben soweit ist. Das bestimmt alleine die Familie.
Wo ist der Unterschied zum Tragen? Spoiler: es gibt keinen!
Wenn es nicht mehr zur Familie passt, finden sich andere Lösungen. Ansonsten kann man ganz entspannt darauf vertrauen, dass das Kind aus eigener Intuition heraus immer selbstständiger werden möchte. Es möchte dann selbst bestimmen, wie schnell oder langsam es läuft, in welche Richtung es gehen soll, ob mitten durch die Pfütze oder lieber außen rum...
Das Tragen wird immer weniger, bis das Kind das Trageangebot schließlich gänzlich ablehnt und man nur noch in besonderen Situationen tragen "darf". Es ist also nichts schlimmes, wenn das Baby sich daran gewöhnt, in der Trage getragen zu werden, oder sogar ausschließlich dort zu schlafen, solange es für alle Beteiligten passt.
Lustigerweise sehe ich ausnahmslos bei jedem Besuch im Tierpark Familien völlig entnervt und erschöpft Richtung Ausgang trotten, wobei meist die Mama den leeren Kinderwagen schiebt und Papa das müde Kleinkind einseitig auf dem Arm trägt. Oder ich höre Sätze wie "was glaubst du, für was ich den Anhänger gekauft habe?"
Foto: wix.com
Bei solch einem Anblick denke ich mir jedes Mal schmunzelnd:
Kinder nicht zu tragen ist (eigentlich) keine Option!
Wäre es in solchen Fällen nicht entspannter die Trage auszupacken und das Kind auf dem Rücken zu tragen? Zumindest wäre es für den tragenden Papa leichter. Und höchstwahrscheinlich für das getragene Kind auch.
Entspannte Eltern - entspannte Kinder.
"Aber so lernt das Kind doch nie laufen!"
Noch ein Argument, dass Trageeltern gerne mal entgegen gebracht wird.
Gegenfrage: was haben die Kinder denn vor 1840 - dem Gründungsjahr des Kinderwagens gemacht? Bis an ihr Lebensende gekrabbelt?
Foto: wix.com
Im Gegenteil, getragen zu werden ist für ein Baby ein umfassendes Frühförderungsprogramm! Es lernt in dieser Position das Köpfchen in alle Richtungen zu drehen und kann es bei Bedarf einfach auf der Brust der tragenden Person ablegen. Das Kind muss permanent Bewegungen ausgleichen, richtet sich manchmal auf um mehr zu sehen und schult den Gleichgewichtssinn. Sämtliche Muskeln, die für das spätere Aufrichten benötigt werden, werden durch eine physiologische Trageweise trainiert!
Und auch hier frage ich mich: warum gibt es solche Sätze nicht beim Kinderwagen? Welche Vorteile für die Entwicklung meines Kindes hat es stattdessen, im Kinderwagen zu sitzen oder liegen? Mir fallen zumindest keine ein.
Ich persönlich habe mich gerne daran gewöhnt, meine Kinder zu tragen. Manchmal sogar beide gleichzeitig. Und ich hoffe inständig, dass ich dieses Verhalten hoffentlich wieder losbekomme ;-)
Kommentare